Klassische Frage in fast jedem Vorstellungsgespräch: "Was sind Ihre Stärken und Schwächen?" Ich hasse diese Frage und du bestimmt auch. Was soll man darauf antworten? Das kann doch nur schief gehen. Ich bin immer ehrlich und ich komme dauernd zu spät? Genau so bin ich, aber will ich, dass mein künftiger Chef mich für unzuverlässig hält, weil ich zu Verspätungen neige? Und wenn ich zuverlässigkeit als Stärke angebe? Nimmt man mir das dann ab?
Eigentlich ist es völlig egal, was man darauf antwortet. Deine Stärken und Schwächen zeigen sich nicht darin, was du antwortest, sondern darin, wie du auf diese Frage reagierst. Lässt du dich durch unangenehme Fragen aus der Ruhe bringen? Dann ist das eine Schwäche. Bleibst du im Gespräch und schaffst es gelassen zu wirken ist das eine Stärke.
Die Frage nach deinen Stärken und Schwächen stellen dir aber nicht nur Personaler, spätestens bei der Wahl deiner Ausbildung wirst du dich das selbst fragen: Was sind meine Stärken und Schwächen? In welchen Schulfächern bin ich gut, in welchen versage ich regelmäßig? Was sagt mein Schulzeugnis über mich? was denken meine Freunde? wie schätzen mich meine Lehrer ein?
Weißt du was? Es ist völlig egal, was andere für deine Stärken und Schwächen halten! Lass dir keinesfalls etwas von jemandem irgendwas einreden!
Ich weiß, es ist verdammt schwer mit im letzten Schuljahr schon zu wisen, wo die eigenen Stärken und Schwächen liegen, aber bedeutet eine schlechte Note, in einem Fach wirklich, dass die ein Fach nicht liegt? Oder sollte eine gute Note die nächsten 40 Jahre deines Lebens bestimmen?
Zu Schulzeiten wurde mir meine "Kommunikationsfreudigkeit" immer von nahezu jedem Erwachsenen als große Schwäche ausgelegt. Meine Lieblingfächer waren Mathe und Biologie, aber das konnte ja nicht sein, weil Mädchen 1. kein Mathe können und ich mich in Bio nicht besonders für Pflanzen interessierte (als ob Bio sich ausschließlich mit Pflanzen beschäftigen würde). Das war zumindest die Meinung meiner Lehrer. Aufs Gymnasium hätte ich sowieso nie gehen dürfen, laut meiner Lehrer.
Ich hätte liebend gern Psychologie studiert, aber offenbar war ich ja zu dumm und zu faul für ein Studium. Das hatten mir meine Lehrer 13 Jahre lang erfolgreich eingeredet (ja damals dauerte das Abi in Berlin noch 13 Jahre und ja, ich bin echt alt). Ich hatte also keine Stärken, nur Schwächen laut meiner Lehrer. Was macht man damit, wenn man sich für den weiteren Berufweg entscheiden muss? Wie wär's mit einer kleinen Verschnaufpause? Wer sagt denn, dass man immer für alles einen Plan haben muss? Planung und Spontanität können große Stärken, aber auch Schwächen sein. Für gewöhnlich neigt man mehr zu einer von beiden Seiten. Zu welche Seite neigst du? Planer können durch unerwartete Fragen schnell aus dem Konzept gebracht werden. Bist du eher spontan und hast selten einen Plan von dem, was auf dich zukommt, kannst du vielleicht schneller auf ungewohnte Situationen reagieren und findest auf die Frage nach deinen Stärken und Schwächen vielleicht schneller eine interessante Antwort, die Frage zwar nicht direkt beantwortet, aber deine Stärke beeindruckend demonstriert. Vielleicht hast du's mit deiner spontanen Art aber auch nicht so ganz mit der Pünktlichkeit?
Aber zurück zum Thema Ausbildung: Hätte ich auf den Berufsberater beim Arbeitsamt gehört hätte ich eine Ausbildung im sportlichen Bereich gemacht, weil ich durchgängig eine 2 in Sport hatte, aber hatte das nicht jeder? Ich selbst, hielt mich immer für relativ unsportlich, also ergab eine Karriere im Sport gar keinen Sinn für mich. Ich bewarb mich bei diversen Eventveranstaltern für eine Ausbildungsstelle als Veranstaltungskauffrau, aber die wollten mich aufgrund meines Abschlusszeugnisses alle nicht. Sie wollten mich nicht mal kennenlernen und dann schlug meine große Stärke "Spontanität" zu. Ein Freund erzählte mir, dass am nächsten Tag die Bewerbungsfrist für Kaufleute im Groß- und Außenhandel in seinem Ausbildungsbetrieb enden würde. Zwar nicht ganz das, was ich gesucht hatte, aber was hatte ich schon zu verlieren? Ich schrieb noch am selben Tag meine Bewerbung und drückte sie ihm in die Hand, damit er sie noch am nächsten Morgen seiner Ausbilderin in die Hand drücken konnte. Ich wurde direkt zum Gespräch eingeladen und da war sie wieder die große Frage nach meinen Stärken und Schwächen und obwohl man mir diese Frage schon so oft gestellt hatte, wusste ich keine gute Antwort darauf und genau das bezeichnete ich dann als meine große Schwäche. Dem Ausbilder gefiehl die Antwort. Sie war spontan und ehrlich. Genau das wollte er sehen
"Um ehrlich zu sein: Schokolade ist meine große Schwäche, aber ich habe einen 5 Punkte Plan, mit dem ich das Zeug erfolgreich außer Reichweite halte"
Das wäre doch mal eine Interessante Antwort, die dir möglichweise sogar einen kleinen Lacher auf deiner Seite einbringt. Sympathisch, ehrlich und spontan und sie enthält sogar einen Plan :D Außerdem stehen die Chancen gut, dassd ein Gesprächspartner diesselbe Schwäche hat und sich dadurch mit dir identifizieren kann. Nutz das aus! Gleich und Gleich gesellt sich gern. Kein Wunder, dass Arbeitgerber am liebsten Bewerber einstellen, die ihnen auf irgendeine Weise ähneln. Das bedeutet auch, dass du mit so einem Spruch sicher nicht jeden Personaler wirst überzeugen können. Manche Menschen sind einfach spaßbefreit. Würde ich so eine Frage je einem Bewerber stellen und der so antworten, hätte dieser Mensch mein Herz gewonnen. Ich hab's zwar nicht so mit Schokolade, aber lustige, spontane, ehrliche Menschen.
Wie du siehst, ist meine Kommunikationsfreudigkeit tatsächlich auch eine meiner Schwächen. Wie sonst hätte ich dir in 830 Wörtern was von Stärken und schwächen bei der Berufswahl erzählen können, ohne die eigentliche Frage zu beantworten?
Am allerwichstigsten ist unabhängig vom Job ist, dass du zuverlässig bist. Ob du das ausdrücklich nennst oder in deine Bewerbung schreibst ist zweitrangig. Wichtiger sind Lebenslauf und Arbeitszeugnisse. Sagen deine ehemaligen Arbeitgeber, dass man sich nicht auf dich verlassen kann, wirst du gar nicht erst zum Gespräch eingeladen. Bekommst du die Stelle musst du dich erstmal beweisen, unabhängig von all dem, was du während des Bewerbungsprozesses gesagt oder geschrieben hast. Taten zählen mehr als Worte! Also vermassel es nicht.
Du hast sechs Monate Probezeit. In dieser Zeit kann dein Arbeitgeber dich jederzeit kündigen. Sei dir sicher, dass dein Arbeitgeber spätestens zum Ende der Probezeit deine Kollegen fragen wird, was sie über deine Stärken und Schwächen denken. Schlussendlich, werden deine Kollegen nicht darüber entscheiden ob du bleiben darfst oder gehst, aber der Mensch, der das entscheidet, wird deren Einschätzung mit in die Wagschale werfen.
Ja genau, du entscheidest, was Stärken und Schwächen sind und das gilt auch für jeden anderen. Das, jemand für eine Stärke hält, ist automatisch eine Schwäche, wenn genau diese als stärke angenomme Fähigkeit fehlt. Es sei denn man ist ein wirklich empathischer Mensch, der sich in andere gut einfühlen und zuhören kann, statt zu verurteilen. Nichts ist absolut, also lass dich nicht unterkriegen. Wenn dir deine eigenen Stärken und Schwächen noch nicht klar sind, akzeptiere es und gib dir selbst die Zeit und Selbstreflektion, die es braucht, um sich selbst kennenzulernen. Du hast noch den ganzes Leben Zeit dafür.
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