In diesem Jahr habe ich meinen Master in Wirtschaftskommunikation an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin abgeschlossen. Dank Aufstiegsstipendium. Es gibt wohl kaum jemanden, einschließlich meiner selbst, der mir vor zehn Jahren einen Hochschulabschluss zugetraut hätte. Mit „typischen“ Studierenden hatte ich wenig gemeinsam. Weder Abitur, BAföG oder Eltern, die mir bei der Finanzierung behilflich hätten sein können. Hinzu kamen zwei Kinder und mein Geburtsjahr, mit dem ich das Durchschnittsalter eines Studiengangs um einige Jahre erhöht hätte. Und doch ist es mir gelungen „Aufstieg durch Bildung“ zu erfahren.
Studieren war lange Zeit mein nahezu unerfüllbarer Wunsch. Als Kind der 1970er Jahre besuchte ich die Hauptschule und machte zunächst eine solide Ausbildung zum LKW-Mechaniker. Ich habe viel gelernt und man kann sagen, sogar was fürs Leben. Doch dabei blieb es dann auch.
Es folgten Wehrersatzdienst, einige Jobs und schließlich der Versuch auf dem zweiten Bildungsweg mein Abitur auf einem Kolleg nachzuholen – in Vollzeit über drei Jahre.
Nach einem Unfall, folgender temporärer Motivationslosigkeit und der Geburt der Ersten von zwei Töchtern brach ich den Versuch einem Hochschulabschluss näher zu kommen schließlich ab.
Als Freund der elektronischen Musik und mit meinen ersten Erfahrungen im Veranstaltungsbereich fand ich einen Job bei einem Berliner Musiklabel. Damit war ein Ortswechsel angesagt. So ging es im Jahr 2000 von Dortmund nach Berlin. Auf solide Kenntnisse in der Musikwirtschaft konnte ich nicht wirklich zurückgreifen und bei dem Label lief es auch nicht wirklich rund. Also hielt ich es für ein gute Idee eine Ausbildung zu machen, die meinen Interessen entsprach. So wurde ich Kaufmann für audiovisuelle Medien und trieb mich einige Jahre vorwiegend freischaffend im Musik- und Veranstaltungsbusiness rum.
Schließlich arbeitete ich als Dozent für meine Zweitausbildung typische Inhalte, wie z.B. Musikproduktion, Filmkalkulation und immer mehr auch Marketing.
Ich hatte ein gutes Einkommen, war ein wenig rastlos, wollte weiter kommen, nicht mehr von Auftrag zu Auftrag hetzen, einen gut bezahlten Job, in Festanstellung bitte!
Es war ein Unterfangen mit schlechten Aussichten. Einen gut bezahlten Job in Berlin, der irgendwas mit Medien oder Marketing zu tun hat, ohne Studium oder mindestens ein, zwei Toparbeitgebern in der Vita?
An Jobmöglichkeiten mangelte es nicht, aber meistens war die Bezahlung wirklich mies. Als Vater von zwei Kindern hätte ich nicht selten mit Harz 4 mehr Geld bekommen, als bei so mancher Jobmöglichkeit mit unvorhersehbaren Überstunden.
In meiner Vita schreiben wir das Jahr 2008 und ich verschicke weiter Initiativbewerbungen und blättere Anzeigen im klassischen Medium Zeitung.
Eine Anzeige der SBB – Stiftung für Begabtenförderung – wurde zur Zäsur: Aufstiegsstipendium.
Studieren ohne Abitur! Schon mal gehört?
Die Hochschulgesetze der Länder (in Berlin ist es der §11 BerlHG) ermöglichen es in sog. berufsnahen Studiengängen auch ohne Abitur zu studieren. Das wäre doch was für mich! Ein Stipendium für Nichtabiturienten!
Meine Recherchen schienen zunächst ernüchternd, denn der Name ist zunächst Programm:
Mit dem Aufstiegsstipendium wird über die SBB, getragen durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung, die Durchführung eines ersten akademischen Hochschulstudiums für Berufserfahrene gefördert. Das Stipendium richtet sich vor allem an Menschen die keine übliche Zugangsberechtigung zu einer Hochschule mit Abitur vorweisen können (auch Abiturienten können gefördert werden). Mit einer Berufsausbildung, mehrjähriger Berufserfahrung, berufliche Fortbildung und Anerkennung der besonderen fachlichen Begabung gehört man schon zum Kreis der Förderberechtigten.
Anerkennung der besonderen fachlichen Begabung – Begabtenförderung – war ein Begriff der mich erst mal auf den Boden der Tatsachen zu holen schien. Doch weit gefehlt. Die Bewerbungsvoraussetzungen für das Aufstiegsstipendium wie abgeschlossene Berufsausbildung und eine mindestens zweijährige Berufstätigkeit konnte ich vorweisen. Die Absicht, im Jahr oder Folgejahr der Bewerbung ein Studium beginnen zu wollen, waren spätestens jetzt auch erfüllt (Man kann sich übrigens bis zum Abschluss des zweiten Fachsemesters bewerben).
Aber diese besondere Begabung oder Leistungsfähigkeit? Diese kann durch eine Berufsabschlussnote besser als „gut“ oder einen Sieg bei einem überregionalen beruflichen Leistungswettbewerb belegt werden.
Ich konnte das nicht.
Zum Glück sind alle guten Dinge immer drei und so gab es auch für mich immernoch eine Möglichkeit für eine Bewerbung: ein begründeter Vorschlag meines Arbeitgebers.
Dies ist ein an die SBB gerichtetes Schreiben des Arbeitgebers, in dem dieser die besondere Leistungsfähigkeit des Bewerbers darlegt. Zum Glück hat die SBB einige Eckpunkte angegeben, was in dem Schreiben so alles zu stehen hat.
Dank meines guten Verhältnisses zu meinem damaligen Arbeitgeber hat dieser mir genau ein solches Schreiben auch angefertigt. Damit war die erste Hürde mich überhaupt bewerben zu können genommen.
Mit meiner Onlinebewerbung habe ich den ersten Teil eines dreistufigen Bewerbungsverfahren absolviert.
Das Bewerbungsverfahren ist in drei Stufen gegliedert:
Bei der ersten Stufe werden die grundsätzlichen Voraussetzungen geprüft. Sollte man diese Bewerbungsstufe nicht beim ersten Mal schaffen, kann man es bei einem weiteren Auswahlverfahren, das zweimal im Jahr startet, noch einmal versuchen.
Ich hatte Glück. Meine Onlinebewerbung war erfolgreich. Es folgte Stufe II des Bewerbungsverfahren.
Im Kompetenzcheck wird über einen zweiteiligen Onlinefragebogen über 90 Minuten versucht, die Leistungsbereitschaft, Ausdauer und soziale Kompetenz der BewerberInnen abzubilden. Es werden u.a. Fragen zum sozialen Engagement in Vereinen und sozialen Projekten gestellt. Thematisiert werden auch persönliche Einschätzung, Umgang in Stresssituationen, Erlebnisse und Erfahrungen. Man sollte hier sehr ehrlich antworten, da so manche getätigte Aussage in einer weiteren Frage noch mal beleuchtet wird.
Der Kompetenztest ist zeitlich sehr eng gesteckt und man schafft es ggfs. nicht alle Fragen zu beantworten. Wie ich von anderen BewerberInnen weiß, ist das aber kein Problem. Es gibt KandidatInnen die nicht alle Fragen beantworteten, aber trotzdem ein Stipendium erhalten.
In dieser Phase des Auswahlverfahrens müssen auch alle Unterlagen schriftlich eingereicht werden. Leider ist es bei einer erfolglosen Bewerbung ab der zweiten Phase nicht mehr möglich sich noch einmal zu bewerben. Wer diese zweite Stufe meistert wird anschließend zu einem persönlichen Auswahlgespräch eingeladen.
Im dritten und letzten Teil des Bewerbungsverfahrens gilt es die im Onlinefragebogen gemachten Angaben zu bestätigen. Es wird ein individuelles Interview auf Basis der eigenen, im Kompetenzcheck getätigten Aussagen durchgeführt. Ziel der JurorInnen ist es, Themen und Aussagen zu hinterfragen, zu vertiefen und sich ein persönliches Bild über die BewerberInnen zu machen.
Das persönliche Bewerbungsgespräch lief ziemlich gut, so vom Gefühl her. Der Juror war ein älterer Prof. Dr. der Medizin und wir hatten ein sehr intensives und ausführliches Gespräch zum Thema freies Wissen. Kann also nicht mehr schief gehen dachte ich mir. Aber wer weiß?
Mit der Einladung zum letzten Teil des Auswahlverfahrens wurde ich natürlich auch zunehmend unruhiger. Schaff ich die nächste und letzte Stufe auch noch?
Außerdem wurde es Zeit sich auf die Suche nach einem geeigneten Studium zu machen. Mit einer technischen und kaufmännischen Ausbildung hatte ich einige Studiengänge zur Auswahl.
Ohne Abitur studieren zu wollen begrenzt zwar die Zugangsmöglichkeit auf die berufsnahen Studiengänge, bringt aber Vorteile bei der Bewerbung an den Hochschulen. Die fachgebundene Hochschulzugangsberechtigung schafft etwas Luft bei der Bewerbung: Die Hochschulen halten für Bewerber nach §11 in jedem Studiengang ein Kontingent an Studienplätze frei. Damit hat man weitaus weniger Konkurrenz bei der Bewerbung. Für einen Studiengang wie Wirtschaftskommunikation an der HTW, wo auf 80 Studienplätze ca. 1.500 „normale“ Bewerbungen kommen, sind die Erfolgsaussichten als §11 Bewerber geradezu erfolgsversprechend.
Ich hatte mich also mit der Frage zu beschäftigen, was denn nun studieren?
Ich bewarb mich bei verschiedenen Hochschulen für BWL, Maschinenbau und Wirtschaftskommunikation. So befand ich mich Anfang 2009 in mehreren Bewerbungsverfahren.
Doch was tun wenn ich gar kein Stipendium bekomme? Oder das Stipendium und doch keinen Studienplatz? Mir wurde klar, egal was jetzt passiert, solange ich einen Studienplatz bekomme werde ich auf jeden Fall studieren, auch ohne Stipendium.
Anfang Februar erhielt ich eine Zusage von der TU Berlin für Maschinenbau. Am Freitag dem 13. Februar 2009, hatte ich die Zusage für einen Studienplatz Wirtschaftskommunikation an der HTW Berlin im Briefkasten. Studieren war also keine Frage mehr.
Marketing war ja schon lange mein Thema. Aber Maschinenbau hätte ja auch noch mal interessant werden können. Die Wahl fiel mir schließlich sehr leicht, denn an Berliner Hochschulen wurden §11 Studierenden für zwei Semester nur auf Probe immatrikuliert. Um die etwas komplexen Bedingungen nicht darlegen zu müssen sei nur gesagt: Hat man ein „nicht bestanden“ zu viel innerhalb der ersten beiden Semester, oder gar ein Modul gar nicht abgeschlossen, wurde man exmatrikuliert und hätte jedes weitere Recht auf Zugang zu einer Hochschule verwirkt. Da hätte nur noch ein Abitur nachholen geholfen.
Mit meinen mangelnden Mathematikkenntnissen schien es so gut wie unmöglich alle Module im Studium Maschinenbau zu bestehen. Also wurde ich ein Wiko!
Am Samstag dem 14. Februar 2009 habe ich die schriftliche Zusage für mein Stipendium erhalten.
Es war ein fantastischer Moment der mir unvergessen bleibt… 🙂
Die Aufnahme in das Stipendiatenprogramm bedeutet für die nächsten drei Jahre eine finanzielle Absicherung von 735 Euro + 80 Euro Büchergeld pro Monat sowie 130€ Betreuungszuschlag für jedes deiner Kinder unter 10 Jahren. Damit kommt man als Studierender mit zwei kleinen Kindern auf 1075 Euro monatliche Förderung. Da dasAufstiegsstipendium einkommensunabhängig vergeben wird, kann ich neben dem Studium so viel zusätzlich verdienen, wie es meine Zeit zulässt. Auch das Einkommen meiner Eltern spielt hier keine Rolle und das beste: Ich muss von all dem nichts zurückzahlen.
Diese finanzielle Absicherung ermöglichte mir ein zügiges und unabhängiges Studium. So konnte ich mein Bachelorstudium noch vor der Regelstudienzeit in nur fünf Semestern absolvieren.
Diese von der SBB als hervorragend eingestufte Leistung eröffnete mir die Chance auf eine Anschlussförderung für das Masterstudium. Sehr gute Noten oder ein Abschluss vor Regelstudienzeit bietet in einem einfachen Antragsverfahren die Möglichkeit das Aufstiegsstipendium um zwei weitere Jahre zu verlängern.
Voraussetzung ist die vorangegangene Förderung des Bachelorstudiums durch die SBB. Da konnte ich nicht widerstehen. So wurde aus meinem Wunsch einen Bachelorabschluss zu erreichen der Master.
Ich kann nur sagen DANKEan das Bildungssystem und die Möglichkeit sein Leben unabhängig der gesellschaftlichen Herkunft noch mal in eine ganz andere Richtung zu bringen.
Jeder mit einer Ausbildung und Berufserfahrung und zwar so bald wie möglich!
Du bist dir nicht sicher, ob du geeignet für dieses oder ein anderes Stipendium bist?
Egal! Lass das die Stiftungen entscheiden. Was hast du schon zu verlieren? Im schlimmsten Fall bekommst du eine Absage und das Leben geht wie gewohnt weiter. Vielleicht bekommst du aber eine Zusage und dein Leben könnte sich wie meins um 180 Grad drehen. Wenn du dich nicht bewirbst, wirst du es nie erfahren.
Ich erzähle meine Geschichte ja nicht hier in aller Öffentlichkeit, damit du mich abfeierst. Ich erzähle sie dir, damit du verstehst, dass wenn sogar so jemand wie ich ein Stipendium bekommen kann, es so jemand wie du auf jeden Fall versuchen sollte.
Die meisten scheitern nicht an den Zugangsvoraussetzungen, sondern an sich selbst. Also hab Mut und schreib eine Bewerbung. Und falls das Aufstiegsstipendium aus welchen Gründen auch immer nichts für dich sein sollte, dann kannst du in verschiedenen Datenbanken nach Alternativen schauen und andere Ratgeber zur Hilfe nehmen.
Ich wünsche dir dabei alles Gute,
Kay
Die offizielle Hotline des Deutschen Studentenwerks ist erreichbar
von montags bis freitags 8 - 20 Uhr (kostenfrei).
Julia
Ein Stipendium zu bekommen, ist schon etwas, das ein Leben verändern kann. Auch wenn Geld nicht unbedingt glücklich macht, es hilft dennoch ungemein, da kann jeder noch so viel gegen Kapitalismus wettern. Geld erleichtert einem doch eine Menge!
Ich gratuliere jedenfalls zum Abschluss und freue mich über den erfolgreichen Lebenswandel :)
LG
Julia
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