Mir ist schlecht. So richtig übel.
In vier Tagen muss ich meine Abschlussarbeit verteidigen. Ich will nicht. Alles in mir wehrt sich dagegen. Aber ich habe keine Wahl. Wenn ich einen Hochschulabschluss haben will, muss ich da jetzt durch. Dieser innerliche Widerspruch führt zu besagtem Gefühl. Seit Tagen schießen mir die Tränen in die Augen, wenn ich an meine Verteidigung denke. Ich sitze vor meiner Präsentation, aber mehr als das Deckblatt bekomme ich nicht gebacken. Ich fühle mich gelähmt.
Dabei kenne ich keine Prüfungsangst. Klar, niemand mag Prüfungen und am liebsten würde man sie alle einfach überspringen. Mir ging das auch so vor jeder einzelnen Prüfung meines Lebens. Und doch ist diesmal etwas anders. Es ist schlimmer. Viel schlimmer.
Ich fühle mich wie ein Versager und ich hätte nie gedacht, dass es mir mal so gehen würde. Ich hasse das Wort versagen. Meine Lebenseinstellung ist „Manchmal gewinnst du, manchmal lernst du.“ Versagen und scheitern sind in meinem Wortschatz gar nicht vorgesehen. Ich bin ein durch und durch optimister Mensch. Aber diesmal…
Ich trage dieses Gefühl schon seit einem Jahr mit mir rum. Im Grunde seit ich den Startschuss für meine Abschlussarbeit bekomme habe. Egal was ich tat und wie viel Mut andere mir zusprachen, es wurde nicht besser. Zeitweise war ich so blockiert, dass ich fürchtete, meine Abschlussarbeit nicht fertigstellen zu können. Mit jedem Wort, das ich schrieb, fühlte ich mich inkompetenter und dümmer. Das führte auch dazu, dass ich mich nicht mehr traute, meiner Betreuerin Fragen zu stellen. Ich zog mich immer mehr zurück.
Kurz vor der Deadline beschloss ich dann, mich zusammenzureißen, meine eigenen Ansprüche zu vergessen und mich auf Quantität statt auf Qualität zu konzentrieren. Ich wollte diese für mich schlimme Zeit nur noch hinter mich bringen, koste es, was es wolle. Und so füllte ich Seite um Seite, ohne zu wissen, was ich eigentlich tat. Ich schämte mich dafür, aber nichts abzugeben, wäre noch schlimmer gewesen.
Die Arbeit abzugeben brachte nur bedingt Erleichterung, denn ich wusste, dass ich dafür noch gerade stehen würde müssen. Ich würde damit nicht kommentarlos davonkommen.
Sprach ich mit Freunden und Bekannten darüber erntete ich wenig Verständnis. Immerhin war ich immer eine gute Studentin. Meine Chancen auf einen Prädikatsabschluss stehen gut und das trotz Kindern, Nebenjob und mangelndem akademischen Hintergrund. Alles gute Gründe stolz auf mich selbst zu sein und doch fühlt es sich für mich wie eine Ausrede an.
Ich habe versagt. Auf den letzten Metern. All die guten Noten zuvor erscheinen mir wie pures Glück oder Zufall. Ich habe sie nicht verdient. Das schreit mir ein kleines Teufelchen jeden Tag ins Ohr. So laut, dass ich weder meine eigenen Gedanken noch die aufmunternden Worte anderer hören kann.
Und nein, ich habe meine Masterarbeit nicht komplett verkackt. Ich bin nicht durchgefallen. Deshalb darf ich meine Arbeit nun auch in einem einstündigen Gespräch mit meinen Prüferinnen erörtern. Erst dann darf ich den Titel Master of Arts tragen und mein Studium endlich und offiziell als erfolgreich abgeschlossen bezeichnen.
Warum ich dir diese Geschichte überhaupt erzähle?
Weil ich will, dass du weißt, dass du nicht allein mit deinen Ängsten bist.
Mir werden viele Attribute zugeschrieben. Von Außen betrachtet gelte ich für viele als Vorzeigestudentin mit meinem ehrenamtlichen Engagement, meiner Familie und der Leichtigkeit, mit der ich mich hier und in meinen Videos präsentiere. Ich bekomme fast täglich Nachrichten von Menschen, die schreiben, dass sie mich bewundern, dass ich eine echte Powerfrau sei und dass sie nicht könnten, was ich kann. Aber das stimmt nicht. Ich bin nichts besonderes. Ich bin eine Studentin wie jede andere auch. Mein Lebenslauf ist vielleicht etwas anders als bei anderen, aber ich mache das gleich durch wie du. Es gibt überhaupt keinen Grund mich oder deine Kommilitonen für besser zu halten. Wir alle haben unser Päckchen zu tragen. Nur weil man nicht jedem seine Ängste und Sorgen ansieht, heißt es nicht, dass sie nicht da sind.
So wie mir geht es vielen Studenten vor allem kurz vor ihrem Abschluss. Was ist, wenn meine bisherigen Noten nur Glück waren? Oder Mittleid? Eigentlich hab ich im Studium doch gar nichts wirklich gelernt. Was ist, wenn das jetzt in der Abschlussarbeit auffliegt? Oder im Bewerbungsgespräch? Ich hab doch eigentlich gar keine Ahnung von nichts. Ich weiß nur, wie man für Klausuren lernt. Jetzt werden alle merken, dass ich nur ein Hochstapler bin und mich nur irgendwie durchgeschummelt habe. Ich habe meinen Erfolg nicht verdient.
Solche Gedanken schießen nicht nur durch meinen Kopf. Ich hörte sie auch von angehenden Ärzten kurz vorm Staatsexamen und Informatikern kurz vorm Masterabschluss. Studiengänge, die man mit gut bezahlten Berufen und konkreten Inhalten im Studium verbindet. Wie kommen die auf solche Gedanken? Wie komme ich darauf?
Mein Masterstudium habe ich überhaupt nur gemacht, weil ich mich nach dem Bachelor für zu inkompetent für die Berufswelt da draußen hilt. So ging es vielen in meiner Kommiliton*innen. Als ich mit meinem Professor darüber sprach war der total verblüfft. Er hatte immer angenommen, dass Masterstudenten sich für besonders schlau hielten. Der Bachelor sei sozusagen unter unsrer Würde. Dabei war es bei vielen genau anders herum. Wir hielten uns für zu dumm um einem Vorstellungsgespräch standzuhalten. Vielleicht helfen ja vier zusätzliche Semester um endlich etwas handfestes zu lernen.
Manchmal hilft es, darüber zu sprechen und zu wissen, dass man nicht allein damit ist. Ich habe mich kürzlich erst mit Dr. Daniel Hunold von Motiviert Studiert darüber unterhalten. Er ist Dozent an der Uni Greifswald und auch ihn plagte das Hochstapler Syndrom immer wieder im Studium. Wie hat er das überwunden?
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Mir hilft in dieser Situation nur das Teilen meiner Geschichte und die Hoffnung, dass sie dir Mut macht. Dass du dich deshalb vielleicht etwas weniger schlecht und allein fühlst. Was auch immer passiert, mein und auch dein Leben wird nicht mit der anstehenden Prüfung enden. Wir werden uns aufrappeln und weitermachen. Wie wir es immer getan haben. Weil wir es können.
Und ich freu‘ mich drauf! Bist du dabei?
Was denkst du?